Was das SCHUFA-Urteil des EuGH (C 634/21) zum Scoring bedeutet – und was nicht!
Der Europäische Gerichtshof hat am 07.12.2023 eine viel beachtete Entscheidung zum Scoring der SCHUFA getroffen. Über die SCHUFA hinaus ist diese Entscheidung wegweisend für das Scoring aller Wirtschaftsauskunfteien wie etwa auch der Creditreform Boniversum GmbH.
Was ist Scoring?
Beim Scoring wird aus bestimmten Merkmalen einer Person auf der Grundlage mathematisch-statistischer Verfahren ein Wert ermittelt, der die Wahrscheinlichkeit eines künftigen Verhaltens ausdrückt. Im Fall von Wirtschaftsauskunfteien bedeutet dies, dass mit den ermittelten Werten die Wahrscheinlichkeit eines bestimmten Verhaltens im Rahmen der Kreditrückführung zum Ausdruck gebracht wird. Die Erstellung von Score-Werten („Scoring“) basiert auf der Annahme, dass durch die Zuordnung einer Person zu einer Gruppe anderer Personen mit vergleichbaren Merkmalen, die sich in einer bestimmten Weise verhalten haben, ein ähnliches Verhalten vorausgesagt werden kann. Salopp ausgedrückt bedeutet Scoring, dass die betroffenen Personen anhand äußerer Merkmale in eine bestimmte Schublade gesteckt werden.
Was ist der Vorteil des Scorings?
Wie jedes Schubladendenken dient auch das Scoring der Ressourcenschonung und der Effizienzsteigerung. Denn wenn – etwa bei Kreditanfragen – nicht mühsam zahlreiche individuelle Informationen zusammengetragen und ausgewertet werden müssen, sondern auf bereits vorhandene Vorauswertungen zurückgegriffen werden kann, kann die Entscheidung, ob ein Kredit gewährt wird, sehr viel schneller und effizienter getroffen werden. Deutlich wird dies, wenn man sich vor Augen hält, dass der Großteil der täglich getroffenen Kreditentscheidungen keine großen Finanzierungsdarlehen für Grundstücke oder teure Maschinen betreffen, an die man zunächst denken mag, sondern die Frage, ob ein Kunde im Rahmen auf einem Online-Portal auf Rechnung kaufen kann oder in Vorleistung treten muss oder ob ihm für einen Konsumartikel eine mehrmonatige Finanzierung angeboten werden kann. Eine umfassende Auskunft würde den Kunden abschrecken und den Finanzierer überlasten. Insofern profitiert jeder vom Scoring.
Was sind die Gefahren des Scorings?
Auch die Gefahren des Scorings unterscheiden sich nicht von den Gefahren anderen Schubladendenkens: Es kann sein, dass ein Betroffener einer Kategorie zugeordnet wird, in die er bei individueller Betrachtung gar nicht hineingehört, was dann dazu führen kann, dass er von bestimmten Maßnahmen betroffen oder – im Fall der Kreditvergabe – von Kreditgeschäften ausgeschlossen wird. Insofern stellt Scoring ein Risiko für jeden dar.
Worum ging es in dem vom EuGH entschiedenen Fall?
In dem Sachverhalt, der der Entscheidung des EuGH zugrunde liegt, hat sich das vorstehend beschriebene Risiko verwirklicht. Einer Person, zu der von der SCHUFA ein Scorewert ermittelt wurde, wurde ein Kredit verweigert, nachdem der potentielle Kreditgeber den Score der SCHUFA abgefragt hatte. Das Verwaltungsgericht Wiesbaden, das die Sache dem EuGH vorlegte, geht dabei davon aus, dass die Ablehnung des Kredits allein auf dem Scorewert der SCHUFA beruht.
Was sagt der EuGH?
Der EuGH hat festgestellt, dass dann, wenn potentielle Kreditgeber ihre Entscheidung über die Kreditbewilligung ausschließlich auf einen von einer Auskunftei ermittelten Score stützen, die Entscheidung über die Kreditvergabe eigentlich die Auskunftei trifft. Der EuGH führt ferner aus, dass eine solche Praxis grundsätzlich nicht zulässig sei, sondern allenfalls dann, wenn zusätzliche Voraussetzungen erfüllt sind.
Handeln die Auskunfteien also rechtswidrig?
Der EuGH hat weder geurteilt, dass die SCHUFA rechtswidrig handle, noch dass die Praxis der Auskunfteien unzulässig sei. Zahlreiche anderslautende Berichte in den Medien sind irreführend. Es ist nämlich möglich, dass die Praxis der SCHUFA nach § 31 BDSG gerechtfertigt ist, wenn diese Vorschrift gültige Grundlage für ein solches Verhalten ist. Dies liegt außerhalb der Prüfungskompetenz des EuGH und wird vom VG Wiesbaden – und wahrscheinlich in der Folge den höheren Instanzen der Verwaltungsgerichtsbarkeit – zu klären sein.
Was ändert sich jetzt?
Mögen die juristische Bedeutung der Entscheidung und das mediale Echo auch groß sein – in der Praxis wird sich zunächst nichts ändern. Bis zur Entscheidung des VG Wiesbaden ist die Rechtswidrigkeit der Praxis der Auskunfteien nicht festgestellt. Am Ende sind alle denkbaren Entscheidungen möglich, dass nämlich die Scoring-Praxis in ihrer bisherigen rechtswidrig sei, oder dass sie durch § 31 BDSG gerechtfertigt ist, oder – auch dies ist denkbar – dass die Annahme des VG Wiesbaden, dass für die Kreditentscheidung allein der von der SCHUFA ermittelte Score ausschlaggeben soll, gar nicht zutrifft. Zudem ist zu erwarten, dass die Auskunfteien und das Kreditwesen Verfahren entwickeln, in deren Rahmen sie schnell auf neue Methoden umsteigen, die den Anforderungen des EuGH genügen.
Da es nicht darum geht, ob Scoring generell unzulässig ist, sondern nur fraglich ist, ob es alleinige Entscheidungsgrundlage für die Kreditvergabe sein darf, kann mit Sicherheit erwartet werden, dass Auskunfteien weiterhin Daten sammeln und aus diesen Score-Werte ermitteln. Gegner und (vermeintliche) Opfer von SCHUFA & Co., die auf das Ende der Wirtschaftsauskunfteien spekulieren, werden sicher enttäuscht werden.